Es war irgendwann damals, in diesen sogenannten Dot-Com-Zeiten. Stürmische Zeiten. Aber mit ganz vielen Ideen, sogar guten Ideen. Und talentierten jungen Menschen, die ihre Träume umsetzen wollten.
So wie netzteil.
Es war eine interessante Idee: Internetautomaten, also Computer in
einer formschönen Verpackung und einem Geldeinwurf-Automaten, sollen an
zentralen Plätzen aufgestellt werden. Der Münzeinwurf startet die
Internet-Session, die Größe der Geldbörse bestimmt die Dauer des
Surfvergnügens. Noch vor einem hieb- und stichfesten Businessplan waren
Designentwürfe und Prototypen da. Aber es fehlte Geld. Relativ viel
Geld, denn die Automaten (wir nannten sie “Terminals”) sollten nahezu
in Serie produziert werden. Dies jedoch in echter Handarbeit.
Schließlich hatte eine Designerin aus Skizzen das Modell entwickelt,
ein Tischler aus Pinnow daraus den Prototypen gebaut. Total schick.
Die Verhandlungen mit ersten Interessenten brachten noch vor einem
Prototypen einen interessanten, aber großen Markt: Jugendherbergen. Ein
wenig ausgeborgt war diese Idee. Bei einem USA-Aufenthalt der späteren
Gründer standen genau solche Geräte in den Jugendherbergen am grossen
Teich. Genial einfach - die Idee kam ins Gepäck und mit nach
Deutschland.
Mit dem Deutschen Jugendherbergsverband wurden Vorverträge geschlossen,
die ersten Teststellungen waren vereinbart. Ein riesiges Projekt. Man
überlege, wieviele Jugendherbergen es in Deutschland gibt. Natürlich
wurden für die Testphase zunächst die interessantesten Standort
herausgesucht. Mirow zum Beispiel, Vorzeige-Jugendherberge und auch
unter politischer Be(ob)achtung. Also perfekt, um Terminal und Konzept
zu plazieren.
Zwischenzeitlich war das notwendige Kapital für den Start aus dem privaten Umfeld generiert. Denn den Banken reichten dynamisches Auftreten, interessante Idee und “Nerds” nicht aus. Vor allem aber schien das benötigte Kapital zu gering zu sein. Selbst große regionale Bankhäuser und Geldinstitute belächelten die Anfragen. “Wenn Sie fünf Millionen haben wollen, können wir was machen. Aber Sie wollen ja nichtmal ein fünftel davon!”, war bei vielen “Beratern” der O-Ton. Ganz nebenbei hatten natürlich auch die Gründer Ehrfurcht vor derart großen Investitionen. Millionensummen, die man sonst nur aus der Zeitung kennt, nimmt man nicht mal so in die Hand. Auch nicht hier.
So ist Schwerin.
In einer Metropole wäre es aus meiner Sicht viel leichter gewesen,
fremdes Kapital für das Projekt und die Verwirklichung des Traums zu
bekommen. Nicht so in Schwerin. Mezzanine, Hedgefonds - all das steckte
damals noch in den Kinderschuhen.
Und so wurden die privaten Kontakte zur Beschaffung genutzt. Nicht
unerheblich, was am Ende “auf dem Tisch lag”. Und es reichte, wie sich
später herausstellen sollte, hinten und vorne nicht.
netzteil entwickelte sich schnell. Neben den Terminals, die ersten
Geräte liefen erstaunlich stabil im Dauerbetrieb, wurde an
Verwaltungssoftware zum Handling der ganzen in allen Landstrichen
stehenden Rechner programmiert. Eine Filtersoftware, die den
Jugendschutzbestimmungen gerecht wird, wurde ebenfalls angepackt. Es
kam Bewegung in die kleine Firma, die zu diesem Zeitpunkt immer noch
aus zwei Festangestellten (zwei der drei Gründer) und einer Hand voll
freier Mitarbeiter bestand. Vielleicht war es zuviel Bewegung auf zu
wenig Raum. Vielleicht aber auch die Unerfahrenheit, wie es im
“richtigen” Leben so ist. Vielleicht aber auch die Unbekümmertheit der
Geldgeber, die nicht wussten, wie es wirklich um netzteil stand.
Irgendwann kam der große Knall.
So schnell geht's.
Zuvor gab es aber noch eine ganze Reihe positiver Nachrichten, die die
gutgelaunten Investoren dann auch feierten. Beispielsweise die ersten
Kontakte mit der Bundeswehr zur Ausstattung der Unterkünfte der
Soldaten mit Internet-Terminals. Oder Gespräche in Frankreich zum
Export von Idee und Terminal.
Die wohl heißesten Märkte aber kamen eher durch Zufall ins Gespräch: Zu
den Olympischen Spielen in Athen sollte die von netzteil fast zur
Serienreife gebrachte Software zum Einsatz kommen. Ernsthafte
Interessenten gab es auch im deutschsprachigen Ausland: Die
Arbeitsämter in Österreich wollten Terminals komplett aufstellen.
Und… Und… Und…
Aber es half nichts. Im Februar 2002, nur zwei Monate nach einer noch
eilig anberaumten aber nicht mehr durchgeführten Kapitalerhöhung, kam
das Aus. Sicherlich auch (aber nicht nur) wegen des damals großen
Crashs in der Branche. Kreditwarnungen. Geldhahn zu. Nichts mehr da.
Plötzlich, unerwartet. Insolvenz. Peng: Eine Idee war am Ende, ein Traum zerplatzt. Und letztlich eine Menge Geld einfach futsch. Typisch Dot-Com…
Ich bitte die mäßige Qualität der Fotos zu entschuldigen. Die Originale (Dateien) suchte ich vergeblich.
( Dieser Beitrag liegt schon ganz lange unveröffentlicht hier rum. Es ist ein wenig Aufarbeitung dessen, was damals passierte. Nein, ich war kein Gründer/Angestellter dieses Unternehmens. Ich hoffe, keine Fehler bei den Fakten zu haben, da ich den Großteil aus Erinnerungen und Aufzeichnungen rekonstruiert habe. Die Geschichte ging auch noch weiter: Insolvenzverwalter, kümmert sich kaum. Terminals, die noch da waren, wurden verkauft. Domain ebenfalls. Was bleibt, ist nicht viel. Aber dieser Text. Darum ;-))